Mekka, im Jahr 630. Mohammed steht mit seinem Heer vor der Stadt. Angeblich in friedlicher Absicht. In Wahrheit will er sich für seinen Rausschmiss rächen und eine junge Frau für sich gewinnen, die sich in Geiselhaft Mekkas befindet. Unter dem Deckmantel seiner neuen monotheistischen Religion fanatisiert er einen jungen Mann. Ein Thema, aktueller denn je.
Das Projekt Prophet 3.0 basiert auf einer Initiative der Freidenker-Vereinigung der Schweiz und verknüpft Voltaires Stück „Der Fanatismus oder Mohammed“ mit der heutigen Aktualität und unseren persönlichen Scheuklappen. Steilvorlage für Islam-Bashing? Fehlanzeige! Voltaires Stück entpuppt sich als leidenschaftliche Abrechnung – nicht nur mit allen monotheistischen Religionen, sondern mit Ideologien jeglicher Couleur.
Voltaire stand mit der Anmaßung der Buchreligionen auf Kriegsfuss – und schrieb gegen sie an. Auch und nicht zuletzt auf dem Theater: 1742 brachte er sein Stück über Mohammed zur Uraufführung, und die katholische Zensur verbot das Stück nach wenigen Aufführungen. Erst nach neun Jahren durfte es wieder gespielt werden – und wurde ein grosser Erfolg.
Im Jahr 1800 wurde das Stück von Goethe übersetzt, aber der Erfolg blieb aus, denn man glaubte die Intoleranz zwischen den Religionen überwunden. So kann man sich irren. Im 20. und 21. Jahrhundert kam es nur noch zu vereinzelten Aufführungen, wenn sie nicht von islamistischen Kreisen verhindert wurden, wie zum Beispiel 1992 in Genf.
„Nichts ist schrecklicher als ein Volk, welches, weil es nichts zu verlieren hat, zu gleicher Zeit durch den Raub und durch den Geist der Religion angetrieben ficht.“ (Voltaire)
Hintergrund: Werdegang eines Stückes
Voltaire: „Le fanatisme ou Mahomet le prophète“, Tragédie en cinq actes. 1736
uraufgeführt 1741, verboten von 1742-1751
Der grosse Aufklärer Voltaire zeigte sein Stück erstmal in Lille. Das Publikum war begeistert. Nächste Station war Paris – dort wurde das Stück nach drei Vorstellungen verboten. Generalstaatsanwalt Kardinal Joly de Fleury begründete die Zensur damit, dass das Stück eine Ungeheuerlichkeit voller Schändlichkeiten, Ruchlosigkeiten, Unglauben und Gottlosigkeit sei.
Voltaire schickte sein Werk mit einer Widmung versehen an Papst Benedikt XIV. Dieser schickte ihm zum Dank zwei Medaillen mit seinem Porträt. Ihm war offenbar entgangen, dass Voltaire eigentlich die Auswüchse jeder monotheistischen Religion aufs heftigste attackiert hatte. Vergeblich fälschte Voltaire den Brief des Papstes noch deutlicher zu seinen Gunsten, um die Zensurbehörde zu überzeugen – trotzdem blieb das Stück bis 1751 verboten.
Danach kam es zu einer längeren Reihe von sporadischen Aufführungen, bis das Stück allmählich in Vergessenheit geriet.
Das änderte sich mit den aktuellen Auseinandersetzungen zwischen Islamisten und westlichen Demokratien in der heutigen Gesellschaft (Fatwa gegen Rushdie, Karikaturenstreit, etc.). Etliche Versuche, das Stück aufzuführen, wurden bereits im Vorfeld abgewürgt – sei es aus Angst vor gewalttätigen Konflikten, sei es aus vorauseilender political correctness. Ein krasses Beispiel ereignete sich 1993 in Genf, als Regisseur Loichemol das Stück im Rahmen der Feiern zum 300. Geburtstag Voltaires inszenieren wollte. Islamistische Kreise hintertrieben systematisch das Projekt, bis die Stadt Genf ihre bereits zugesagten Subventionsbeiträge strich. Erst im Jahr 2005 kam dann doch noch eine Aufführung zustande.
Goethe: „Mahomet“ – Trauerspiel in fünf Aufzügen, nach Voltaire. 1799
uraufgeführt 1800
Goethe hatte sich grosse Mühe gegeben, Voltaires inzwischen etwas hölzern wirkenden Verse in eine zeitgemässere Sprache zu übertragen, und die Zeitgenossen sahen im Mahomet „das Meisterstück eines großen Dichters“, wie aus einer Besprechung hervorgeht, ähnlich äußerte sich Schiller. Auch Goethes Übersetzung ins Deutsche wurde als bedeutende literarische Leistung gewürdigt: „die Verdeutschung“, schrieb ein zeitgenössischer Rezensent, „verkündigt die Hand eines Meisters“. Trotzdem wurde das Stück nach der Uraufführung am Weimarer Hoftheater immer weniger bis kaum noch gespielt.
„An eine Aufführung von Voltaires umstrittenen, vor zweihundertfünfzig Jahren der Zensur abgerungenen Drama Mahomet ist im heutigen Europa nicht mehr zu denken. Der Umstand, dass der Prophet Mohamed in Voltaires Stück auftritt, sich in seiner zutiefst menschlichen Fragwürdigkeit zu erkennen gibt und von den anderen Figuren kontrovers reflektiert und behandelt wird, reicht aus, um muslimisch inspirierte Verbots-Prozeduren in Gang zu setzen. Es ist Usus geworden, gilt als „politische Vernunft“ und Zeichen „politischer Kultur“, diesem Druck nachzugeben.“ (Chaim Noll, 2011)
Im Jahr 1993 nahm sich das Theater in Freiburg i. Br. zum 300. Geburtstag Voltaires des Stoffes an und brachte Goethes Übersetzung auf die Bühne – anscheinend ohne grosse Turbulenzen.
Wir verwenden die aktuellste Übersetzung von Tobias Roth aus dem Jahr 2016; sie hält sich stark an Voltaires Original und behält auch das Prinzip der gereimten Zweizeiler bei. Erschienen ist sie im Verlag „Das kulturelle Gedächtnis“.